Einleitung
Die Lissenzephalie wurde erstmals vor mehr als 100 Jahren als eine der schwersten Fehlbildungen des menschlichen Gehirns beschrieben. Ihre Bezeichnung erhielt sie aufgrund des pathologisch anatomischen Erscheinungsbilds eines „glatten“ Gehirns (Smooth Brain).
Die Lissenzephalie ist das Ergebnis einer Migrationsstörung nahezu aller kortikaler Neuronen kurz vor ihrer anatomisch normalen Endposition mit dem Ergebnis entweder eines völligen Fehlens (Agyrie) oder einer Vergröberung (Pachygyrie) der Oberflächenstruktur des Gehirns und eines abnorm dicken Kortex. Neuronale Migrationsstörungen sind klinisch sehr variabel: Das Spektrum reicht von der schweren, klassischen Form der Lissenzephalie bis zur klinisch und pathologisch-anatomisch weniger schwerwiegenden so genannten subkortikalen Bandheterotopie, die auch als subkortikale laminare Heterotopie oder „double cortex“ bezeichnet wird. Es besteht auch eine große genetische Heterogenität, da unterschiedliche Mutationen in mehreren Genen zu einer neuronalen Migrationsstörung führen können. Dabei sind die Kenntnisse zur Genotyp-Phänotyp-Korrelation noch recht begrenzt.
Als häufigste Ursache für neuronale Migrationsstörungen wurden Mutationen in zwei Genen, LIS1 und DCX, identifiziert. Die Identifizierung von Mutationen dieser und weiterer Gene, welche eine Rolle bei der Migration von Neuronen spielen, wird das Verständnis der Gehirnentwicklung erweitern und neue Möglichkeiten der molekulargenetischen Diagnostik in der klinischen Praxis eröffnen.
Quelle: Dtsch Arztebl 2003; 100(19): A-1269 / B-1064 / C-996 – Morris-Rosendahl, Deborah; Wolff, Gerhard
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Filme
Interview mit Burkhard Propf (1.Vorsitzenden LISS e.V.) über Lissenzephalie im Jahr 2010
Einen Film über das Thema Schwerstbehinderung, er zeigt das Alltägliche einer Familie und beschreibt den lebendigen Austausch mit der kommunikative Vielfalt zwischen einem schwerbehinderten Kind und dessen Eltern.
Informationen für Eltern
Wenn Eltern das erste Mal von einer ernsten angeborenen Fehlbildung oder anderen Entwicklungsproblemen ihres Kindes erfahren, kann dies ein Schock für sie bedeuten. Vielleicht sind sie auch überrascht, vor allem wenn ihr Kind normal aussieht (siehe rechtes Bild). Ihre erste Reaktion ist, Fragen zu stellen, hauptsächlich „Was wird aus meinem Kind?”. Perioden der Trauer und häufig der Verleugnung der Krankheit können folgen. Ganz wichtig zu diesem Zeitpunkt ist eine einfühlsame Betreuung durch einen Arzt und anderen Experten der Gesundheitsfürsorge, wie zum Beispiel humangenetische Berater. Später versuchen viele Eltern, helfende Informationen herauszubekommen. Tritt die Krankheit selten auf, kann es schwierig sein, einen Arzt zu finden, der damit vertraut ist. Wichtige Fragen bleiben dann leider manchmal unbeantwortet.
Über die letzten paar Jahre hinweg, bin ich von vielen Eltern nach Informationen über Lissenzephalie gefragt worden. Die meisten wollten genaue und detaillierte Informationen, die sie woanders nicht finden konnten. In diesem Bericht habe ich versucht, die am häufigsten gestelltem Fragen so genau wie möglich zu beantworten. Dabei habe ich versucht, die Benutzung von komplizierten medizinischen Fachausdrücken zu vermeiden. Dieser Überblick ist hauptsächlich für Eltern gedacht, die die Diagnose ihres Kindes schon einige Zeit kennen. Ich vermute, dass die folgenden Seiten für Eltern mit einem neu diagnostizierten Kind ein Überangebot an Information darstellen, so dass ich vorschlage, den Text zu einem späteren Zeitpunkt zu lesen.
Lissenzephalie ist eine Fehlbildung des Gehirns, bei dem die Gehirnoberfläche statt eigentlich gewunden glatt ist. Der Name kommt von den griechischen Wörtern „lissos“, was glatt bedeutet, und „enkephalos“, was Gehirn bedeutet.
Beim Menschen ist die Oberfläche des Gehirns wie eine komplexe Reihe von Hügeln und Tälern. Die Hügel nennt man ‚gyri‘ oder Windungen, und die Täler nennt man Furchen (‚sulci‘). Bei Kindern mit Lissenzephalie sind die normalen Windungen nicht vorhanden oder nur zum Teil ausgebildet, so daß die Oberfläche glatt ist, wie die Abbildung rechts zeigt. Lissenzephalie wird normalerweise durch die Interpretation eines Computer-Tomogramms (CT; Röntgen-Schichtaufnahme) oder einer Magnet-Resonanz-Tomogramms (MRT; Schichtaufnahme durch Anlegen von Magnetfeldern statt Röntgenstrahlen) des Gehirns diagnostiziert. Bei ungeborenen Kindern kann der Verdacht auf eine Lissenzephalie im Rahmen der vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen entstehen. Verschiedene andere Anomalien des Gehirns können sekundär mit Lissenzephalie verbunden sein(s.u.).
Wenn sich das Gehirn im ersten Schwangerschaftsmonat bildet, befinden sich alle Nervenzellen im Zentrum und umgeben einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum, den man Zentralkanal nennt. Während des zweiten Monats beginnen stützende Zellen Verzweigungen an die Oberfläche des Gehirns zu schicken. Während des dritten und vierten Monats klettern die Nervenzellen an diesen Verästelung hinauf, um die Oberfläche zu erreichen. Jede Welle von wandernden Nervenzellen klettert über die vorhergehende Welle hinaus, so dass die letzte Welle von Nervenzellen der Gehirnoberfläche am nächsten ist.
Normalerweise befindet sich eine große Mehrzahl aller Nervenzellen an oder genau unterhalb der Oberfläche in einem Bereich, der Cortex (=Hirnrinde) heißt. Bei Lissenzephalie erreichen viele der Nervenzellen die Oberfläche nicht. Sie sind auf ihrer Wanderung (Migration) in die Hirnrinde an einer ungewöhnlichen Position stehengeblieben, so dass sie ihre üblichen Verbindungen mit anderen Nervenzellen nicht herstellen können. Bei der Lissenzephalie handelt es sich also um eine Migrationsstörung der für die Hirnrinde bestimmten Nervenzellen.
Mehrere verschieden Arten von Lissenzephalie sind bisher beschrieben worden. Die häufigste ist die klassische oder Typ I Lissenzephalie. Eine andere Form heißt Typ II Lissenzephalie, da ihr Auftreten sehr unterschiedlich ist. Patienten mit Typ II haben zusätzlich Hirn- oder Augenfehlbildungen und die meisten haben einen Wasserkopf (Hydrozephalus). Es gibt noch mehrere seltene Arten, die aber hier nicht beschrieben weden (zum Beispiel „cerebro-cerebelläre“ Lissenzephalie und eine Lissenzephalie als Teil des sog. Neu-Laxova Syndroms).
Jeder dieser Lissenzephalie-Arten kann als Bestandteil verschiedener Syndrome vorkommen. Typ I Lissenzephalie kommt in der isolierten Lissenzephalie Sequenz (ILS), dem Miller-Dieker Syndrom und in dem sehr seltenen Fall eines Norman-Roberts Syndroms vor. Typ II kommt in dem Fukuyama Syndrom und dem Walker-Warburg Syndrom (WWS) vor. Das Fukuyama Syndrom ist normalerweise als Fukuyama congenital muscular dystropy (FCMD) bekannt.
Lissenzephalie, sofern sie nicht im vorgeburtlichen Ultraschall aufgefallen ist, wird eher selten bei der oder kurz nach der Geburt erkannt. Das liegt daran, daß die äußerlichen Hinweise fein und unspezifisch sind. Eine Ausnahme bilden die Kindern mit WWS. Viele Neugeborene mit Lissenzephalie sehen genauso aus und verhalten sich zunächst genauso wie Kinder ohne ein ernsthaftes Problem. Das meiste Verhalten von Neugeborenen wie schlafen, saugen und weinen wird nämlich vom sog. Hirnstamm und seinen Zentren kontrolliert und nicht von der Hirnrinde.
Einige Probleme, die Eltern zuerst auffallen, sind die Unfähigkeit, Personen oder Gegenstände mit den Augen zu verfolgen (Blickfolgebewegung). Eine schlechte Nahrungsaufnahme, sowie mangelnde Gewichtszunahme und Krampfanfälle. Bei den meisten Kindern fällt eine Entwicklungsverzögerung im Alter zwischen 2 und 6 Monaten auf. Bei anderen erkennt man schon kurz nach der Geburt deutliche Probleme, wie zum Beispiel einen sehr kleinen Kopfumfang, eine schwache Spontanatmung oder andere angeborene Fehlbildungen. Kinder mit Walker-Warburg-Syndrom können einen großen Kopfumfang (Makrozephalie) und verschiedene zusätzliche Geburtsfehler haben.
Alle Kinder mit Lissenzephalie haben eine deutlich verzögertegeistige Entwicklung und eine schlechte Kontrolle der Bewegung (psychomotorische Retardierung) ähnlich wie bei Kindern mit z.B. geburtsbedingtem Hirnschaden (Zerebralparese) . Dennoch machen einige der Kinder mit Lissenzephalie begrenzte Entwicklungsfortschritte. Andere übliche Probleme schließen dürftiges Füttern, häufige Krampfanfälle und wiederholte Episoden von Lungenentzündungen mit ein. Zwischen den verschiedenen Lissenzephalie Syndromen existieren einige Unterschiede.
Alle Kinder mit Lissenzephalie haben eine deutlich verzögertegeistige Entwicklung und eine schlechte Kontrolle der Bewegung (psychomotorische Retardierung) ähnlich wie bei Kindern mit z.B. geburtsbedingtem Hirnschaden (Zerebralparese) . Dennoch machen einige der Kinder mit Lissenzephalie begrenzte Entwicklungsfortschritte. Andere übliche Probleme schließen dürftiges Füttern, häufige Krampfanfälle und wiederholte Episoden von Lungenentzündungen mit ein. Zwischen den verschiedenen Lissenzephalie Syndromen existieren einige Unterschiede.
Vor eine paar Jahren hielt man Lissenzephalie ausschließlich für eine genetische Krankheit, die wie ein rezessives Merkmal vererbt wird. Mittlerweile hat man erkannt, daß dies so nicht stimmt. Meinen Studien über die letzten 8 Jahren zufolge glaube ich, daß viele verschiedene Ursachen existieren, sowohl genetische als auch nicht-genetische. Dazu gehören (1) virale Infektionen des ungeborenen Kindes während des ersten Schwangerschaft-Trimesters, (2) eine unzureichende Blutversorgung des kindlichen Gehirns während des ersten Trimesters, (3) eine genetische Krankheit mit rezessiver Vererbung, und (4) die Beschädigung oder die Veränderung (Mutation) einer spezifischen Gen-Region auf einem Chromosom 17. Andere Ursachen, die bis jetzt noch nicht gefunden wurden, sind genauso gut denkbar.
Die Lissenzephalie Syndrome
Mehrere verschieden Krankheiten oder „Syndrome“ mit Lissenzephalie sind bisher beschrieben worden. Die drei häufigsten sind die isolierte Lissenzephalie Sequenz (ILS), das Miller-Dieker Syndrom (MDS) und das Walker-Warburg Syndrom (WWS). Eine ILS liegt bei Kindern vor mit Lissenzephalie als dem Haupt- und normalerweise dem einzigen Geburtsfehler. MDS und WWS sind genetische Syndrome, die sich durch eine spezielle Kombination von angeborenen Fehlbildungen auszeichnen. Wenn Sie unsicher sind, welchen Befund ihr Kind hat, sollten Sie den Arzt ihres Kindes fragen.
Äußere Erscheinung. Das Gesichts von Kindern mit ILS sieht außer einigen sehr milden Anzeichen unauffällig aus (siehe Bild oben). Feine Hinweise wie eine sanfte Einbuchtung der Schläfe und ein geringfügig kleinerer Kiefer können von Spezialisten erkannt werden. Einige betroffene Kinder haben andere kleinere Auffälligkeiten, die normalerweise von nicht ärztlich ausgebildeten Personen nicht erkannt werden.
Entwicklung. Ungefähr die Hälfte aller Kinder mit ILS haben eine ausgeprägte geistige Entwicklungsverzögerungen. Ihre Fähigkeiten beschränken sich im Allgemeinen auf kurze und unkoordinierte Blickfolgebewegungen, auf ein kurzes Lächeln und reduzierte spontane Bewegungen. Sie sind schlaff und viel weniger aktiv als normale Kinder. Die Kontrolle der Kopfhaltung ist dürftig, und Kinder aus dieser Gruppe liegen häufiger in überstreckter Stellung mit nach hinten geneigtem Kopf. In Bauchlage hängen ihr Kopf, Arme und Beine schlaff herab. Die meisten dieser Kinder werden nie in der Lage sein, sich selbst von der Rücken- in die Bauchlage u.u. herumzudrehen. Wenn sie älter werden, tritt in der Regel eine anhaltend erhöhte Spannung der Muskeln (Spastik) auf. Insgesamt wird dieser Grad der geistigen und körperlichen Behinderung als „Entwicklungsstufe 1“bezeichnet.
Die andere Hälfte der Kinder mit ILS hat auch starke geistige Entwicklungsverzögerung, erreicht aber durchschnittlich immerhin ein Entwicklungsstadium entsprechend eines ca. 3-5 Monate alten Kindes. Kinder aus dieser Gruppe mit ILS sind munterer, weniger schlaff und zeigen bessere (aber nicht normale) Blickfolgebewegungen und Kopfkontrolle sowie ein Lächeln bei elterlicher Zuwendung. Obwohl sich auch bei diesen Kindern eine Spastik der Muskulatur ausbilden kann und einige die überstreckte Körperhaltung einnehmen lernen viele schließlich doch, sich herumzudrehen und nach Objekten zu greifen, aber nicht, sie sicher zu fassen. Ein paar dieser Kinder lernen im weiteren Verlauf zu sitzen. Diesen Grad der Behinderung bezeichne ich als „Entwicklungsstufe 2“. Nur ein einziges Kind lernte zu laufen, was ich als „Entwicklungsstufe 3“ einstufe.. Einige der erreichten Fähigkeiten, wie z.B. das selbständige Herumdrehen von Rücken- in Bauchlage oder das Greifen nach Gegenständen können in der späteren Kindheit wieder verloren gehen. Solche Rückschritte werden erklärt durch die größere Körpergröße, zunehmend häufigere Krampfanfälle, eine höhere Dosis an Medikamenten gegen die Anfälle oder eine unzureichende Nahrungsaufnahme.
Angemessene krankengymnastische und beschäftigungstherapeutische Behandlungsprogramme können helfen, orthopädische Probleme, vor allem die Fehlstellung der Gelenke infolge der muskulären Spastik zu verhindern. Eine intensive Betreuung der Kinder kann einige ihrer Entwicklungsfertigkeiten begünstigen; aber man sollte nicht erwarten, dass die Fertigkeiten über die oben beschriebenen Stufen hinausgehen.
Epileptische Anfälle. Die meisten Kinder mit ILS haben Krampfanfälle, die während des ersten Lebensjahres beginnen, aber normalerweise nicht während der ersten paar Monate auftreten. Es können mehrere verschiedene Arten von Anfällen auftreten. Tonische Anfälle bestehen aus einer plötzlichen Versteifung normalerweise des ganzen Körpers. Gewöhnlich dauern sie nur einige Augenblicke, können aber auch ein paar Minuten anhalten. In der Phase danach treten dann keine weiteren Zuckungen auf. Andererseits können kurze tonische Anfälle von nur nur ein paar Sekunden einer nach dem anderen über eine Zeitdauer von mehreren Minuten auftreten.
Sog. tonisch-klonische oder „grand-mal“ Anfälle bestehen aus einer Verkrampfung des ganzen Körpers und rhythmischen Zuckungen des Kopfes, der Arme und der Beine. Manchmal erfassen diese Anfälle einen Teil des Körpers. Diese Art von Anfälle setzen meistens nach dem ersten Lebensjahr ein. Sog. Absencen bestehen aus offenen und unbeweglichen Augen mit leeren Gesichtsausdruck. Diese dauern normalerweise nur ein paar Sekunden an, obwohl längere Episoden möglich sind. Manchmal treten begleitend feine Bewegungen wie ein Augenlidzittern oder Kaubewegungen auf.
Diese Anfälle können nur selten vollständig durch eine anti-epiletischen Behandlung verhindert werden. Aufgrund der gemischten Arten von epileptischen Anfällen, die auftreten können, sind bestimmte Medikamente erfolgreicher als andere. Auch zwischen den einzelnen Kindern kann sich die Effektivität der medikamentösen Behandlung unterscheiden. Bei den meisten Kindern ist die effektivste Behandlung Valproinsäure (z.B. Orfiril). Als zweite Wahl wird oftmals Clonazepam (z.B.Rivotril) eingesetzt.(Klonopin). Andere Medikamente wie Phenobarbital (z.B. Luminal), Phenytoin (z.B. Phenhydan)Dilantin), Carbamazepin (z.B. Tegretal) und Ethosuximid (z.B: Petnidan) können ebenfalls bei einigen Kindern zur Anfallskontrolle helfen..
Manche Kinder haben einen starken Anfalltyp, bekannt als infantile petit-mal Epilepsie oder Blitz-Nick-Salaam Krämpfe (Klappmesseranfälle), die nicht auf die üblichen anti-epileptischen Medikamente reagieren. Diese Anfallsart tritt nur bei Säuglingen zwischen dem 3. und 12. Lebensmonat auf. Sie bestehen aus Serien von sehr kurzen aber heftigen, blitzartigen Krämpfen (Myoklonien) oder tonischen Beugekrämpfen des ganzen Körpers (Propulsiv-Petit-Mal). Die Richtung kann entweder vorwärts oder rückwärts gerichtet sein, d.h. manche Kinder zucken mit dem Kopf nach unten gebeugt und hochgezogenen Beinen nach vorne. Andere wölben ihren Kopf und bewegen sich mit gestreckten Beinen rückwärts. Jeder Krampf dauert nur wenige Sekunden, danach entspannen sie sich wieder bis zum nächsten Krampf. Salvenvon infantiler petit-mal Epilepsie können von wenigen Sekunden bis zu mehreren Minuten andauern. Sie treten am häufigsten kurz nach dem Aufwachen aus dem Schlaf auf.
Zu den wirkungsvollsten Behandlungsmöglichkeiten gehören bei solchen Kindern ACTH-Spritzen (adrenocorticotropes Hormon), die den Körper zur Produktion von Kortison, einem Hormon aus der Nebennierenrindee anregen. Auch hergestelltes Prednisonwelches dem Kortison ähnelt. kann wirkungsvoll sein. Andere Medikamente, die helfen können, sind Valproinsäure und Clonazepam. Andere anti-epileptische Medikamente sind wahrscheinlich weniger wirksam. Wenn die infantile Epilepsie unbehandelt bleibt, steigt die Häufigkeit der petit-mal Anfälle und beeinträchtigt das Entwicklungspotential des jeweiligen Kindes. Schließlich gehen die infantilen Krampfanfälle in andere Epilepsieformen über.
Füttern. Viele Kinder mit ILS zeigen wie andere Neugeborene eine ganz normale Nahrungsaufnahme. Andere saugen nur schwach und scheinen beim Füttern schnell zu ermüden, so dassdie Gewichtszunahme unzureichend ist. Bei solchen Kindern kann sich die Nahrungsaufnahme nach mehreren Tagen oder Wochen verbessern. Anhaltendere Probleme beim Füttern treten häufig dann auf, wenn sich eine generelle Spastik ausbildet ( mit ca. 6 Monaten bis 3 Jahren). Typische von den Eltern bemerkte Anzeichen sind Würgen und Verschlucken beim Füttern, Verweigerung der Nahrung durch Wegdrehen des Kopfes, Erbrechen und Gewichtsverlust. Die Probleme werden oftmals durch Aspiration und Reflux verursacht. Aspiration bedeutet, dass Flüssigkeit oder feste Nahrung in die Luftröhre statt in die Speiseröhre gelangt. Reflux nennt man den Rückfluß von Magensäure in die Speiseröhre. Das ist so ähnlich wie Sodbrennen. Solche Probleme nehmen häuifg mit der Zeit zu.
Diese Probleme können auf mehreren verschiedenen Wegen behandelt werden, aber. alle erfordern eine Betreuungdurch einen erfahrenen Arzt oder Ärztin. Im Allgemeinen wird ein Kinderarzt oftmals das Kind an einen Spezialisten überweisen. Die einfachste Methode ist die richtige Positionierung des Kindes während und nach dem Füttern, wobei der Kopf 20-30 Grad über der Waagerechten gehalten wird. Die Nahrung kann (z.B. durch Hinzugabe von Reisbrei) verdickt werden. Mehrere Medikamente können helfen. Wenn alles das fehlschlägt und die Ernährung des Kindes unangemessen ist, kann eine Operation notwendig sein, bei der der Schließmuskel am oberen Ende des Magens gestrafft wird (sog. Fundoplicatio nach Nissen) und die Nahrung über einen Schlauch direkt in den Magen durch ein kleines Loch im Bauch (Magensonde oder Gastrostomie) gegeben wird.
Krankheit. Kinder mit ILS haben wegen der Neigung zur Aspiration, also den Eintritt von Nahrungsbestandteilen in die Luftröhre, ein erhöhtes Risiko für wiederholende Episoden von Lungenentzündungen. Dennoch gelingt es, solche Probleme bei vielen betroffenen Kindern durch sorgfältige und auf die Lungen ausgerichtete Krankengymnastik sowie durch regelmäßiges Absaugen von Speichel und Bronchialsekreten zu vermeiden. Bei Lungeninfektionen und ähnlichen Problemen ist eine frühzeitige (stationäre) Behandlung sehr wichtig..
Lebensspanne. In einem Großteil der älteren medizinischen Literatur über Kinder mit Lissenzephalie wird eine Lebenserwartung von maximal 2 Jahren angegeben. Meiner Erfahrung nach ist das nicht richtig. Von den 60 ILS-Patienten, die ich kenne, sind ungefähr 20 zwei Jahre und älter und 6 sind fünf Jahre und älter. Der älteste ist 19 Jahre alt. Nur fünf sind gestorben. Trotzdem ist die Lebensspanne deutlich kürzer als normal. Durch Untersuchungen an einer großen Anzahl von Kindern mit ausgeprägter geistiger Behinderung hat man Schätzwerte ableiten können. So werden von Kindern mit deutlicher geistiger Entwicklungsverzögerung, die über eine Magensonde gefüttert werden müssen, ungefähr die Hälfte innerhalb einer 7-Jahres-Intervals sterben. D.h. ungefähr die Hälfte aller 3-jährigen Kinder wird mit 10 Jahren gestorben sein, ungefähr die Hälfte der 8-jährigen Kindern wird mit 15 Jahren gestorben sein und so weiter. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist mindestens doppelt so hoch für die Kinder, die sich selbständig ernähren können.
Ursachen. ILS kann durch mehrere verschiedene Mechanismen verursacht werden, sowohl genetische als auch nicht-genetische. Nicht-genetische Ursachen sind verständlicherweise schwierig nachzuweisen, weil sie das ungeborene Kind lange vor der Geburt beeinträchtigen, wahrscheinlich im 3. bis 4. Monat der Schwangerschaft. Die nicht-genetischen Ursachen, die am ehesten nachgewiesen werden können, sind (1) Infektion des ungeborenen Kindes (intra-uterine Infektion) und (2) eine unzureichende Blutversorgung des kindlichen Gehirns während der frühen Schwangerschaft. Hinweise, dass eine dieser Ursachen vorgelegen haben könnte, kommen in Form spezifischer Auffälligkeiten im zweiten bis vierten Monat des Schwangerschaftsverlaufes, wie z.B. anhaltende Vaginalblutungen oder virale Infektionserkrankung. Auch indirekte Zeichen einer kindlichen Hirnschädigung wie z.B. Atrophie und Bereiche von Kalzium-Ablagerungen können vorkommen . In den meisten Fällen ist der Schwangerschaftsverlauf jedoch ganz normal, selbst wenn Infektionen oder Durchblutungsprobleme vermutet werden.
Bekannte genetische Ursachen schließen (3) autosomal rezessive Vererbung und (4) einen Schaden oder Veränderung (Mutation) von einem oder mehreren Erbinformationen (Genen) auf einem Chromosom 17 ein. Darüber hinaus könnten weitere Gene existieren, deren Mutation zur Lissenzephalie führt. Einige Kinder mit ILS haben betroffene Brüder oder Schwestern gehabt. In diesen und wahrscheinlich manchen anderen Familien ist die ILS vermutlich eine genetische Krankheit, die wie ein rezessives Merkmal vererbt wird. Das Risiko des Wiederauftretens von ILS bei Geschwistern in diesen Familien liegt bei 25%. Die genaue Herleitung dieser Risikozahl ist im folgenden Teil ausführlicher erklärt, der die Ursachen von WWS behandelt. Bei anderen Kindern mit ILS wurde gefunden, dass ein kleines Stück eines der beiden Chromosomen 17 fehlt. Dies kann mit einem Schmutzfleck auf einer Fotokopie verglichen werden, so dass der dadurch verdeckte (Erbinformations-)Text nicht gelesen werden kann. D.h. das genetische Material von entweder der Mutter oder dem Vater wurde nicht richtig kopiert. Das fehlende Stück stammt aus dem gleichen Bereich des Chromosoms 17 wie bei MDS, ist aber normalerweise viel kleiner. Es wird angenommen, dass das fehlende Stück einige kritische Gene enthält, deren Abwesenheit zurLissenzephalie führt.
Genetische Beratung. Bei einigen betroffenen Kindern kann eine spezifische Ursache durch verschiedene Untersuchungen gefunden werden. Zum Beispiel können Narbenbereiche im kindlichen Gehirndurch Kalzium-Ablagerungen auf CT-Bildern identifiziert werden. Gezielte genetische Testungen können das Fehlen eines kleinen Stücks auf einem Chromosom 17 zeigen. Das Wiederholungsrisiko für Lissenzephalie bei Geschwistern ist wahrscheinlich sehr gering in solchen Familien, bei denen einer von diesen Gründen identifiziert wurden. Bei anderen Kinder mit ILS gibt es keine Möglichkeit, die Ursache der Lissenzephalie mit Sicherheit zu bestimmen. Meiner Erfahrung nach ist das Wiederholungsrisiko in den meisten Familien mit einem Kind, das eine Lissenzephalie hat, tendentiell gering. Von 42 Geschwistern von ILS-Patienten hatten 3 auch ILS. Das ergibt eine Häufigkeit von 7%. Jedoch gibt es bestimmte Formen der Lissenzephalie, bei denen das Risiko viel höher, nämlich bei 25%, liegt. Eine sorgfältige genetische Beratung mit Untersuchung des individuellen Kindes und der Familie ist daher immer zu empfehlen. In manchen Fällen werden sich die Informationen dann von den oben gegebenen unterscheiden.
Vorgeburtliche Diagnose. Nur für einige Familien, bei denen dem betroffenen Kind ein kleines Stück des Chromosoms 17 fehlt, ist eine vorgeburtliche Diagnose in folgenden Schwangerschaften möglich,. Lissenzephalie kann nicht mit Sicherheit durch Ultraschall am ungeborenen Kind identifiziert werden.
Einige Kinder mit ILS waren zu schwach, um bei der Geburt zu atmen. Sie wurden mit Sauerstoff behandelt und für eine Zeit lang künstlich beatmet, wurden aber nie stark genug, um selbständig zu atmen. Alle starben innerhalb der ersten zwei Monate ihres Lebens. Mindestens zwei Familien haben je zwei betroffene Kinder gehabt. Folglich ist diese Lissenzephalie-Variante wie eine rezessive Krankheit erblich und das Risiko des Wiederauftretens für Geschwister liegt bei 25%. Das ist ein größeres Risiko als für die meisten anderen ILS-Familien.
Auftreten. Kinder mit MDS haben einen charakteristischen Gesichtsausdruck, der normalerweise einem Spezialisten erlaubt, das Syndrom zu erkennen, bevor Bluttests zur Bestätigung gemacht werden. Von nicht ärztlich ausgebildeten Personal kann die Erscheinung nicht als ungewöhnlich erkannt werden. Die bestehenden Missbildungen schließen eine breite und oftmals hohe Stirn, eine sanfte Einbuchtung der Schläfe und eine schwach nach oben gerichtete Nasenspitze, eine dünne Oberlippe und einen kleinen Kiefer mit ein. Manche Kinder haben andere Geburtsfehler wie einen grauen Star, eine ungewöhnliche Form der Ohren und einen Herzfehler.
Entwicklung und medizinische Probleme. Alle Kinder mit MDS haben schwerwiegende geistige Entwicklungsverzögerung mit einer minimalen Entwicklungsfähigkeit, wie bei ILS-Patienten als „Entwicklungsstufe 1“ beschrieben wurde. Die Probleme mit Anfällen, Füttern und wiederholenden Lungenentzündungen gleichen der der ILS-Patienten.
Lebenserwartung. Viele Kinder mit MDS sterben innerhalb der ersten zwei Lebensjahren, vor allem die mit zusätzlichen Herzfehlern. Andere leben gut über zwei Jahre hinaus. Das älteste Kind, das ich kenne, ist heute 10 Jahre alt. Bei Kindern mit MDS ist die Lebensspanne normalerweise kürzer als bei Kindern mit ILS.
Ursachen. MDS wird durch Fehlen eines Teiles oder des ganzen Armes des Chromosomen 17 verursacht. Einiges Hintergrundwissen wird Ihnen helfen, das zu verstehen. Jeder von uns erbt zwei Kopien eines jeden Chromosomens, einen von unserem Vater und den anderen von der Mutter (die Ausnahme ist das Geschlechtschromosom). Sie sind alle nach ihrer Größe numeriert. D.h. Chromosomen 21 und 22 sind die kleinsten.
Das Fehlen eines ganzen Armes eines Chromosoms kann bereits unter dem Mikroskop erkannt werden. Es beinhaltet den Teil des Chromosoms 17, der am kürzeren der zwei Arme des Chromosoms gelegen ist. Der Fachausdruck gedrehten Bandes lautet 17p13.3 (das liest man: siebzehn-p-eins-drei-Punkt-drei). Die Lokalisierung des Bandes wird in Bild 4 gezeigt. Bei den anderen Gendefekten ist die fehlende Stelle zu klein, um sie unter dem Mikroskop zu sehen. Die Chromosomen werden als „normal“ interpretiert. Diese sehr kleinen Gendefekte können durch spezielle Tests entdeckt werden, indem man kleine Stücke der DNA von diesem Bereich des Chromosoms benutzt. In einigen Familien hat einer der Eltern eine komplexe Anordnung, ihr oder sein Chromosom betreffend. Zum Beispiel können die Spitze des Chromosoms 17 und die Spitze eines anderen Chromosoms ausgetauscht werden. Obwohl sie selber normal sind, sind Eltern, dessen Chromosomen vertauscht sind, sogenannte „Träger“ und können das unregelmäßige Chromosom 17 an ihre Kinder weitergeben. Also kann mehr als ein Kind MDS haben. Allerdings ist dies recht selten . Bei den meisten Familien wurden Gendefekte des Chromosoms 17 durch einen Kopierfehler verursacht. Das kann mit einem Schmutzfleck auf einer Fotokopie verglichen werden. D.h. die 17p13.3 Bänder in allen 17 Chromosomen sind von beiden Elternteile normal. Wenn die elterlichen Chromosomen kopiert wurden, um das Ei oder die Spermazellen zu bilden, wurde einer der 17 Chromosomen nicht richtig kopiert. Ein kleines Stück fehlte. Wenn dieses Gen oder eine Gruppe von Genen fehlt, kann daraus Lissenzephalie entstehen.
Genetische Beratung. Wenn einer der Eltern ein Träger ist, ist das Risiko, andere Kinder mit MDS zu bekommen, oftmals hoch (25-50%). Wenn keiner der Eltern ein Träger ist, ist das Risiko sehr gering, wahrscheinlich weniger als ein Prozent.
Vorgeburtliche Diagnose. Bei den meisten Familien ist eine vorgeburtliche Diagnose möglich. Es wird hierbei nach den Gendefekten des ungeborenen Kindes gesucht, die beim erkrankten Kind MDS hervorgerufen haben. Beide Untersuchungen der Chromosomen, unter dem Mikroskop und das direkte Testen von Stücken der DNA von Chromosom 17, kann dabei benutzt werden. Untersuchungen des ungeborenen Kindes mit Ultraschall sind nicht zuverlässig.
WWS ist völlig unterschiedlich zu ILS und MDS, da weitere schwere Fehlbildungen auftreten . Diese Fehlbildungen betreffen das Kleinhirns (Cerebellum) (ein Teil des Gehirns, der sich im unteren, hinteren Teil des Kopfes befindet und das Gleichgewicht kontrolliert), einen Wasserkopf (Hydrocephalus), Augenfehlbildungen und eine seltene Form von Muskeldystrophie .
Die meisten Kinder haben schwere medizinische Probleme, die zum Tod während der Kindheit führen. Viele der Kinder mit weniger schweren Geburtsfehlern und einer höheren Lebenserwartung kamen aus Finnland, aber ein paar wurden auch in Deutschland und den USA gefunden. Finnische Ärzte benutzen den Ausdruck „muscle-eye-brain-disease“ für diese Kinder.
Neugeborene. Kinder mit schwerer WWS sind bei der Geburt oftmals schwach und brauchen manchmal Sauerstoff und künstliche Beatmung), um ihnen beim Atmen zu helfen. Einige werden tot geboren, und andere sterben während der ersten Lebenswochen, vor allem wenn sie einen Wasserkopf haben. Kinder mit einer milden WWS sind nicht von Geburt an krank, scheinen aber schlapp zu sein und können nicht gut gefüttert werden.
Fehlbildunen. Es kommen mehrere verschiedene Arten von weiteren Fehlbildungen vor, die normalerweise kurz nach der Geburt vom Arzt erkannt werden. Die schwerwiegendsten umfassen das Gehirn und die Augen. Einige Kinder haben ein ungewöhnliches Erscheinungsbild des Gesichts. Sehr wenige haben eine gespaltene Lippe und Gaumen oder nur einen gespaltenen Gaumen (Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte).
Gehirn. Fehlbildungen des Gehirns sind komplex (siehe Bild unten). Zu Beginn der Embryonalzeit haben die erkrankten Kinder eine glatte Gehirnoberfläche, die aber anders aussieht als bei den anderen Lissenzephaliearten (ILS und MDS . Aus diesem Grund wird es „Typ II“-Lissenzephalie genannt. Viele Kinder haben auch ungewöhnlich große Ventrikel innerhalb des Gehirns. Man nennt das Wasserkopf (Hydrozephalus) Aus diesem Grund ist der Kopfumfang bei der Geburt vergrößert. Andere können eine normale oder kleine Kopfgröße haben.
Außerdem ist das Kleinhirn (Cerebellum) kleiner als normal und ist oftmals mit einem flüssigkeitsgefüllten Sack verbunden, der sich direkt hinter ihm befindet. Dieser Teil des Gehirns befindet sich an der Unterseite des Gehirns und gleicht einem Blumenkohl. Manchmal dehnt sich der Sack durch ein kleines Loch im Schädel aus und bildet einen kleinen flüssigkeitsgefüllten Sack auf der Rückseite des Kopfes. Dies nennt man Zephalozele‘
Augen. Augenfehlbildungen sind oftmals schwerwiegend und bewirken ein vermindertes Sehvermögen (siehe Bild rechts). Die äußere Schicht des Auges, die man als Cornea ( Hornhaut) bezeichnet, kann eher getrübt oder weiß als klar sein. Bindegewebszüge können sich von der Innenseite der Hornhaut bis auf die Iris und Linse ausdehnen. Die Linse kann einen grauen Star haben. Der Abfluss des Kammerwassers funktioniert manchmal nicht, somit werden einige Kinder einen erhöhten Augeninnendruck haben. Daraus entwickelt sich ein grüner Star (=Glaukom). Einige Kinder haben eine große Anzahl von Blutgefäßen und anderes Gewebe, die von der Innenseite der Linse bis zur Netzhaut (= Retina) reichen. Die betroffenen Blutgefäße sind vor der Geburt eine normale Erscheinung, die für gewöhnlich aufhören zu wachsen und bis zur Geburt verschwinden. Die Erkrankung tritt auf, wenn sie nicht vollständig zurückbilden.
Lichtrezeptoren sind kleine Strukturen, die Licht erfassen. Sie befinden sich im hinteren Teil des Auges, der als Netzhaut bezeichnet wird. Von diesen Rezeptoren gehen Nervenverzweigungen aus, die den Sehnerv bilden. Der Sehnerv verläuft dann zum Gehirn. Bei allen Kindern mit WWS kommt es zu Entwicklungs und Funktionsstörungen der Netzhaut. Bei geringer Ausprägung beschränkt sich die Fehlbildung auf einen verkleinerten Sehnerv im hinteren Augenbereich. Wenn es schwerwiegend ist, kann es zu einer kompletten Ablösung der Netzhaut vom hinteren Teil des Auges kommen.
Muskelkrankheit. Alle Kinder mit WWS haben eine Form von muskulösen Ernährungsstörungen. Bei schweren WWS sind die Störungen des Gehirns so schwer, daß die Muskelprobleme normalerweise nicht bemerkt werden bis spezielle Tests vorgenommen werden. Bei leichteren WWS schreitet die Muskelkrankheit voran, so dass die Kinder mit zunehmenden Alter geschwächt werden. Durch die unzureichende Erfahrung kann nicht vorhergesagt werden, wann das normalerweise auftritt. Der einfachste Test zur Erkennung von Muskelkrankheiten eine einfache Blutuntersuchung auf das Muskelenzym Kreatininkinase (CK oder CPK) Bei Kindern mit WWS ist es normalerweise erhöht.
Entwicklung. Kinder mit schwerer WWS haben schwerwiegende geistige Verzögerungen, im wesentlichen ohne Entwicklungsfortschritte. Sie sind sehr träge und schlapp mit einer geringen Kontrolle über ihren Kopf. Zerebrale krämpfe und Spastik können auftreten. Sie sind häufig auch blind aufgrund der Kombination von Augen- und Gehirnabnormitäten. Bei Kindern mit leichter WWS variieren die Entwicklungsfortschritte stark. Manche lernen, sich um zudrehen und etwas zu greifen, aber nur wenig mehr, ähnlich wie bei den ILS-Patienten mit dem ‚Entwicklungsstadium 2‘. Andere Kinder, hauptsächlich aus Finnland, haben gelernt zu laufen und sogar zu sprechen. In dieser Gruppe von Kindern schreitet die Muskelkrankheit erkennbar voran.
Probleme beim Füttern. Diese Probleme entsprechen denen bei ILS, können aber früher und schwerer auftreten. Wie man erwarten würde, ist das ein kleineres Problem bei leichteren WWS-Fällen.
Zerebrale Anfälle. Diese fallen möglicherweise bei Kindern mit schwerwiegender WWS nicht auf, weil sie von anderen schwerwiegenden medizinischen Problemen überlagert werden. Dies trifft vor allem bei Kindern zu, die nur kurze Zeit leben. Bei denen, die länger leben ähneln die Anfallsart und die Behandlung denen bei ILS und MDS, obwohl ich damit weniger persönliche Erfahrung habe.
Lebensdauer. Die meisten Kinder mit schwerwiegender WWS leben weniger als ein Jahr, obwohl einige Kinder mehrere Jahre lebten. Solche mit leichter WWS können wesentlich länger leben. Mehrere finnische Patienten lebten bis in ihr frühes Erwachsenenalter, in denen die Muskelkrankheit beginnt, sie zu schwächen.
Ursachen. WWS ist eine genetische Krankheit, die wie ein rezessives Merkmal vererbt wird (siehe Abbildung auf der rechten Seite). Sie ist nicht geschlechtsgebunden. Das bedeutet, daß sowohl die Mutter als auch der Vater des Kindes Träger des WWS-Krankheitsgens sind. D.h. sie haben eine Kopie des Gens, das normal funktioniert, und eine Kopie, die nicht funktioniert. Weil eine funktionierende Kopie ausreicht, damit es zu einer normalen Funktion kommt, sind beide Elternteile nicht erkrankt. Das Kind erbt ein WWS-Krankheitsgen von der Mutter und ein anderes vom Vater. Das Kind hat also keine funktionierenden Kopien der Gene und entwickelt die Krankheit.
Da die Mutter zwei Genkopien besitzt, ist das Risiko bei einer Schwangerschaft, dass sie das WWS-Krankheitsgen weitergeben wird, bei 50 %. Das selbe gilt für den Vater. Die Chance, dass die Eltern das WWS-Krankheitsgen weitergeben werden, beträgt daher ½ x ½ = ¼ Umgekehrt bedeutet das eine Chance, ein weiteres gesundes Kind zur Welt zu bringen, von ¾ oder 75 % beträgt.
Vorgeburtliche Diagnose. Vorgeburtliche Diagnose ist in vielen Fällen durch die Durchführung einer ausführlichen Untersuchung des ungeborenen Kindes mit Ultraschall möglich. Diese Untersuchung erfordert eine große Erfahrung des untersuchenden Arztes. Selbst wenn die Untersuchung von einem Experten durchgeführt wird, sind Fehler möglich. D.h. ein normales Kind könnte als beeinträchtigt angesehen werden und ein beeinträchtigtes Kind als normal. Trotz der begrenzten Erfahrung auf diesem Gebiet, wurde die Mehrheit der ungeborenen Kindern mit WWS-Risiko allerdings bei einer pränatalen Ultraschalluntersuchung richtig diagnostiziert.
Mehrere andere Syndrome oder Arten von Lissenzephalie sind beschrieben worden, allerdings bei viel weniger Kindern. Die Entwicklung und die medizinischen Probleme sind ähnlich, nur die Ursachen sind noch weniger bekannt. Beispiele umfassen cerebro-cerebellare Lissenzephalie, bei der das Kleinhirn sehr unterentwickelt ist, das Barth-Syndrom, welches eine Variante der cerebro-cerebellaren Lissenzephalie ist und das Norman-Roberts Syndrom, das dem ILS ähnelt, aber wie ein rezessives Merkmal vererbt wird.
Zusammenfassung
Lissenzephalie verursacht schwere Fehlbildungen des Gehirns. Es läuft auf eine schwere geistige und motorische Entwicklungsverzögerung genauso wie auf andere medizinische Probleme hinaus, vor allem auf Krampfanfälle und Probleme beim Füttern. Eine spezifische Behandlung ist nicht möglich. Es kann aber durch die vorhandenen Therapieansätze den Eltern mehr Sicherheit im Umgang mit den medizinischen Problemen, vor allem bei Krampfanfällen und Schluckproblemen beim Füttern gegeben werden. Obwohl sich die Entwicklungs- und medizinischen Probleme bei diesen Kindern generell ähneln, treten sogar bei Kindern mit der gleichen Diagnose bedeutende Unterschiede auf.
Es sind viele verschieden Ursachen von Lissenzephalie entdeckt worden. Genetische Beratungen können kompliziert sein. Das Risiko des Wiederauftretens von Lissenzephalie bei Geschwistern wechselt bei den verschiedenen Erkrankungen von 0% bis fast 50%. Eltern sollten sich nicht auf diesen Bericht als ausreichende genetische Beratung verlassen, da es viele verschiedene Ursachen gibt, die sehr unterschiedliche Risiken des Wiederauftretens haben können.
Dank
Während der letzten Jahren habe ich viele Eltern kennengelernt, deren Kinder Lissenzephalie hatten. Viele der Informationen, die in diesem Bericht dargestellt wurden, sind von ihnen zusammengestellt worden, und ich möchte ihnen dafür meine Anerkennung aussprechen. Ein besonderer Dank geht an Dianna Fitzgerald, die mich dazu veranlasste, diesen Bericht zu schreiben.
Quelle: Aufsatz von William B. Dobyns, M.D. 1991
(Copyright Der Aufsatz wurde übersetzt und modifiziert von Burkhard Propf, Tina Mößner, Dr. Heller und Dr. Neldner)
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